Seit vielen Jahren treibt ein heikles Thema die Wissenschaft um: Wie archiviert man das „elektronische Wissen“ der Menschheit so, dass es die Jahrtausende übersteht? Zwar produzieren wir immer mehr Informationen und geben immer mehr Geld dafür aus, diese Daten zu speichern. Doch im Gegensatz zur „vorelektronischen“ Zeit gibt es heute praktisch kein Medium mehr, das eine dauerhafte Ablage des Wissens ermöglicht. Selbst Medien, die mit der Klassifizierung einer Langzeitspeicherung antreten, garantieren höchstens Speicherzeiten von ein paar Jahrzehnten – wobei die Garantie ein theoretisches Versprechen ist, denn diese Medien gibt es noch gar nicht lang genug, als dass man hier von Erfahrungen ausgehen könnte.
Nicht umsonst befürchten viele Wissenschaftler, dass unser Informationszeitalter im historischen Maßstab eine „dunkle Epoche“ ist, deren Wissen nachfolgenden Generationen weitgehend verlorengeht. Die einzige Möglichkeit, die digitalen Daten einigermaßen zuverlässig in die Zukunft zu retten, besteht darin, sie immer und immer wieder auf neue Medien umzukopieren. Damit löst man aber noch lange nicht das Dilemma der Unlesbarkeit: Informationen, die heute mit einem bestimmten Computersystem erzeugt werden, wird man auch in der Zukunft nur mit einem kompatiblen System lesen können. Die Aussicht, etwa in 200 Jahren noch einen Rechner vorzufinden, der heutige Word-Dokumente oder Daten aus einer Wissensdatenbank entziffern kann, ist jedoch eher trübe. Wer schon einmal versucht hat, Dokumente zu lesen, die er beispielsweise Anfang der Neunzigerjahre erzeugt hat, weiß, wovon die Rede ist.
Eine solche Abhängigkeit des reinen Lesevorgangs von einer bestimmten komplexen Technik gab es früher genauso wenig wie die Aussicht, auf einen Schlag ganze Wissensbereiche zu verlieren. Um alte Bücher lesen zu können, muss man zwar deren Schrift und Sprache beherrschen, aber spezielle Technik ist nicht nötig. Ein Feuer in einer Bibliothek zerstört deren Buchbestand, aber auch bei großen Sammlungen bleibt der Schaden begrenzt. Ein zerstörtes zentrales Rechenzentrum kann erheblich größere Datenverluste nach sich ziehen. Und was die Nutzbarkeit alter Rechnersysteme anbelangt, zeigen die Beispiele der NASA und ähnlicher Organisationen, die nur mit Mühe über E-Bay und andere Quellen noch alte Komponenten für ihre gerade einmal 50 Jahre alten Datenbestände zusammenbekommen.
Ein interessantes Projekt schickt sich nun an, das Problem grundsätzlich anzugehen. Der Ansatz mag auf den ersten Blick irrwitzig erscheinen, doch er besinnt sich auf Altbewährtes und könnte tatsächlich einen Durchbruch bedeuten. Dafür stehen auch die beteiligten Projektträger: Neben multinationalen IT-Konzernen wie Google, IBM, Oracle und Microsoft stehen übergreifende Organisationen wie die Vereinten Nationen, die Australian People’s Research Intellectual Library, die deutsche Klassik-Stiftung oder die russische Staatsstiftung Derewji Petemkin. Daraus soll der Anspruch deutlich werden, eine nationen- und kulturübergreifende Ausrichtung der Archivierung zu erreichen. Tatsächlich arbeitet das dahinterstehende organisatorische Konsortium daran, auch überparteiliche Organisationen vom afrikanischen Kontinent sowie aus Ostasien ins Boot zu holen.
Die eigentliche technische Idee nutzt scheinbar längst untergegangene Kulturtechniken. Historisch betrachtet, gibt es eine einzige Technik zur Archivierung von Informationen, die bewiesen hat, dass sie zehntausende Jahre überdauert: Höhlenmalerei. So abenteuerlich es klingen mag, hat sich das internationale Komitee zum Ziel gesetzt, unter dem Titel „Litho-Informational Restitution, Persistence, Anthroposophics“ den „relevanten Teil“ des aktuell verfügbaren Wissens mit Hilfe ewigkeitstauglicher Paläolihographie in die Zukunft zu retten.
Dazu sollen natürliche, in größerem Stil aber künstliche Höhlen dienen, in denen mit Techniken, wie sie auch die prähistorischen Menschen verwendet haben, die Daten an die Wände gebracht werden. Vorgesehen sind dafür Steinmassive im Ural, den Rocky Mountains, dem Ayer’s Rock und vielen anderen geologisch geeigneten Stätten. Die künstlichen Höhlen werden dabei so beschaffen sein, dass sie von Menschen auch dann noch problemlos erkundet werden können, wenn das Größenwachstum des letzten Jahrtausends sich fortsetzen sollte. Bei den eigens gebohrten Höhlen ergibt sich zudem der Vorteil, dass sie an Stellen gebaut werden können, wo die Witterung oder Gesteinsverschiebungen den Malereien keine Schäden beibringen können. Natürlich wird kategorisch ausgeschlossen, dass die „Informationshöhlen“ für andere Zwecke wie etwa Bergbau oder die Endlagerung nuklearer Abfälle verwendet werden können.
Für die eigentlichen Malereien sind zwei Techniken vorgesehen: Das so genannte „wirklich relevante“ Menschheitswissen wird in kulturübergreifend verständliche Bildersprachen übersetzt und wie steinzeitliche Höhlenmalereien an die Wände gebracht. Da dies sehr viel Platz und Zeit erfordert, wird für „arbeitendes Wissen“ eine ganz andere Form der Malerei verwendet, die man sich als ein Mittelding aus binären Lochkarten und analogen Morsecodes vorstellen kann. Ausgehend von einer stark vereinfachten englischen Kunstsprache werden die Daten in ein hochsystematisches Buchstabensystem überführt und dann als Codes aus Strichen und Punkten in festgelegten räumlichen Abständen an die Höhlenwände gemalt.
Wie man sich vorstellen kann, ist die Frage, welche Daten als „wirklich relevant“ gelten, welche weiteren Informationen als „arbeitendes Wissen“ quasi dem niederen Adel angehören sollen und welches Wissen gar nicht für die Ewigkeit haltbar gemacht werden wird, alles andere als einfach zu beantworten. Trotzdem liegen erste Einigungen bereits vor, auf deren Basis prototypische Malereien zurzeit begonnen werden. Die genauen Orte dieser Aufzeichnungen werden jedoch streng geheim gehalten – insbesondere nach den Erfahrungen mit fanatisierten Kulturvernichtern in den letzten Jahren, denen jahrhunderte alte Überlieferungen zum Opfer gefallen sind (etwa in Afghanistan oder Mali), will man mit dem „Wissen der Menschheit“ kein unnötiges Risiko eingehen.
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